Mittwoch, 12. Mai 2010

Calderon

Er lag auf dem mit wildem Moos überwucherten Waldboden und so wie es schien, war er tatsächlich nicht mehr in der Lage aufzustehen.
Alle seine Anstrengungen sich zu erheben waren schlichtweg vergeblich.
Er konnte weder seine Arme seine Füße nicht einmal seinen Kopf bewegen. Dabei fühlte er sich wie erstarrt.
War er etwa schon tot?
Er überlegte… was war geschehen? Daher versuchte er nun angestrengt, das letzte Ereignis, welches sich in seinem Leben zugetragen hatte zu rekonstruieren.
Aber es wollte ihm einfach nicht gelingen.
Totaler Filmriss.


Auch seine Augenlider konnte er nicht mehr öffnen.
Mit bleierner Schwere lagen diese auf seinen Augäpfeln.
So oft er es auch immer wieder versuchte, selbst mit äußerster Willenskraft, es war jedes Mal vergeblich.


Was ihm anscheinend noch geblieben war, war sein Geruchssinn sowie sein Gehör. Denn beide Sinne meldeten sich plötzlich mit gewohnter Routine. Er, oder besser gesagt die Rezeptoren in seiner Nase nahmen plötzlich einen sehr strengen Geruch war, den er aber in keiner Weise zuordnen konnte. Zugleich vernahm er in weiter Ferne ein Geheul, das dem von Wölfen nicht unähnlich war.


Er zermarterte sein Gehirn. Seine Gedanken wurden jählings von Panik erfasst. Mit aller Kraft versuchte er nun diesem eisernen Schlaf zu entfliehen, um endlich wieder aufstehen zu können. Doch alle seine Bemühungen waren stets aufs Neue von Misserfolg gekrönt.
Erneut drang ein seltsamer widerlicher Geruch in seine Nase, gleichzeitig ergriff ihn eine schier grenzenlose Panik.
War er am Ende etwa wirklich tot? Doch warum konnte er dann noch hören und riechen?


Das Geheul schien nun langsam aber beständig näher zu kommen.
So wie es sich anhörte handelte es sich tatsächlich um Wolfsgeheul.
Er konnte ganz deutlich die lang gezogenen Rufe der wilden Tiere hören und war sich zugleich bewusst, dass wenn sie ihn hier in diesem hilflosen Zustand finden würden, er keinerlei Chance haben würde, dem Wolfsrudel irgendwie zu entkommen. Stattdessen würden sie ihn mit ihren scharfen Reißzähnen in Stücke reißen, um ihn hinterher gierig zu verschlingen. Bei diesem Gedanken wurde ihm siedendheiß.
Mit der verzweifelten Kraft eines Todgeweihten versuchte er sich aufzubäumen, was allerdings wieder gänzlich fehlschlug.


Schließlich resignierte er und war schon bereit sich in sein anscheinend unvermeidliches Schicksal zu fügen, als er plötzlich in unmittelbarer Umgebung ein Rascheln sowie ein leises Knacken von alten Zweigen vernahm. In grausiger Erwartung lauschte er ängstlich in jene Richtung aus welcher die Geräusche gekommen waren. Jedoch nach kurzer Zeit wurde das Heulen wieder schwächer um schließlich völlig zu verstummen. Erschöpfung übermannte ihn, sodass eine gnädige Ohnmacht ihn von seiner nagenden Angst erlöste. Er fiel in eine tiefe Bewusstlosigkeit. Als er nach kurzer Zeit wieder erwacht war, sah er nun zu seinem Erstaunen einen strahlend blauen Himmel über sich. Eine göttliche Kathedrale. Er hatte also seine Augenlider geöffnet. Schlagartig wurde ihm plötzlich klar, dass er wieder sehen konnte.
Große Freude kam auf.


Wie er nun so da lag und in den weiten blauen Himmel hinauf starrte, gleich einem Ertrinkendem, indem unverhofft wieder Hoffnung aufblüht, fühlte er sich plötzlich auf seltsame Art und Weise vollkommen eins mit dem ganzen Universum. Gleißendes Sonnenlicht durchflutete ihn und zugleich durchströmte ihn ein starkes Glücksgefühl. Er freute sich sehr darüber, dass er sein Augenlicht nun doch nicht verloren hatte.
Sofort versuchte er daraufhin mit aller Kraft alle seine Muskeln anzuspannen, um endlich doch noch aufstehen zu können. Doch es blieb wieder nur bei einem weiteren vergeblichen Versuch. Mit weit aufgerissenen Augenlidern starrte er nun in den wolkenlosen blauen Himmel, bis er unvermittelt wieder jenes schaurige Wolfsgeheul hörte, welches ihn vorher schon so beunruhigt hatte.
Das Gejaule war nun in unmittelbarer Nähe.
Ja, er konnte die Wölfe nun förmlich riechen. Der Gestank wurde schier unerträglich.


Es blieb ihm eigentlich nur noch die Hoffnung, dass sein zentrales Nervensystem nicht mehr funktionieren würde. Diese Hoffnung war berechtigt, da er sich ja in keiner Weise mehr bewegen konnte.
Dann würden ihm wenigstens die Schmerzen erspart bleiben, falls er wirklich von dem Wolfsrudel bei lebendigem Leibe zerrissen werden sollte. Die Tiere mussten nun in unmittelbarer Nähe sein, denn überdeutlich konnte er nun vereinzeltes Winseln, sowie auch ein drohendes Knurren hören. Auch hörte er das typisch tapsende Geräusch von flinken Pfoten auf weichem Untergrund.
Im nächsten Moment gefror das Blut in seinen Adern. Direkt über seinem Gesicht sah er plötzlich einen großen Wolfskopf. Drohend fletschte dieser knurrend die Lefzen. Die eisgrauen Wolfsaugen schienen ihn aus einer anderen Welt heraus anzustarren.


Da erwachte er. Und ein riesengroßer Stein fiel ihm vom Herzen.
Sein großer schwarzer Kater Calderon rieb wohlig schnurrend sein Köpfchen und explizit sein rosarotes Stubsnäschen an seiner linken unrasierten Wange.
Zeit zum Aufstehen. Ab ins Bad!